Als es noch Supermodels gab - die Luxus-Sekte

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01.05.2015
IMG_0234IMG_0232   Fotos aus meiner Privatsammlung: Cindy Crawford by Margaretha Olschewski; Linda Evangelista by Jim Rakete. Ich wage jetzt ein Experiment: Einen gaaaaanz lange Artikel. Müssen Posts Häppchen sein? Lesen Leser? Wie war es vor Heidi Klum und Germany's Next Topmodel? So, genau so.   „Unter 10000 Dollar stehen wir erst gar nicht auf!“ Ein Satz wie der Überschallknall einer „Concorde“, die Mach Zwei fliegt. Linda Evangelista gab ihn 1990 in einem Vogue-Interview zum Besten. Kein anderes Symbol, kein Foto, keine andere Äußerung bringt so auf den Punkt, was die Ära der Supermodels ausmachte (späte 1980er bis weit in die 1990er hinein): Einen Prominentenstatus, der es mit Hollywood aufnahm, schwindelerregende Honorare, ein an Hybris grenzendes Selbstbewusstsein, Zicken-Alluren und eine Modewelt als Kulisse auf dem Weg zur Label- und Logomania. Die Supermodels waren eine neue Spezies - Glamazonen, die ihr Leben zwischen Luxus und Dekadenz scham- und maßlos zur Schau stellten. Dabei begann der Aufstieg der Schönheiten mit den ebenmäßigen, symmetrischen Gesichtern, den leuchtenden Augen und den perfekten Körpern nicht mit einem Urknall, sondern sehr leise. 1986 arbeitete Steven Meisel, heute einer der größten Modefotografen, für die Britische Vogue. Hairstylist Oribe Canales und Make-up-Artist François Nars schleppten einen kalifornischen Teenager namens Christy Turlington an (sie wurde zuvor mit 13 Jahren bei einem Reitwettbewerb von einem Fotografen entdeckt), die Meisel wegen ihrer makellosen Haut und ihrer Grazie entzückte. Innerhalb weniger Tage stellte sie Meisel ihre britische Freundin Naomi Campell vor; Meisel wiederum brachte die Girls mit einer außergewöhnlich feschen Kanadierin zusammen. Deren Name: Linda Evangelista. Das war die Geburtsstunde der „Trinity“ eines machtvollen und unzertrennlichen Trium-Feminats, das die Szene rocken sollte: Auf den Runways galten sie bald als Sensation. In den New Yorker Nachtclubs riss man sich um Christy, Naomi, Linda – die wahren Supermodels (der Elite-Club umfasste im Lauf der Zeit noch einige mehr) waren unter ihren Vornamen berühmt; Nachname überflüssig. Wie bei einem Syndikat, einer Luxus-Sekte, einem Members-Only-Club gab es eine strenge Hierarchie. Unter der „Trinity“ formierten sich die sogenannten „Big Six“: Neben Linda, Naomi und Christy waren dies Claudia Schiffer, Cindy Crawford und später Kate Moss (Der Muse und Ikone der späten 1990er bis heute schlechthin – ihr wird die nächste Folge dieser Serie gewidmet). In die Riege der Topmodel stiegen u.a. weitere Damen auf, die auf den internationalen Laufstegen und Titelblättern von Modezeitschriften für Furore sorgten: Eva Herzigova (das „Wonderbra“-Model), Nadja Auermann mit ihrem außerweltlich Charisma, Karen Mulder, Amber Valetta, Carla Bruni, Helena Christensen, Tatjana Patitz und Stella Tennant. Die Ausnahme-Frauen besaßen nicht nur eine makellose Schönheit, wurden von der Kamera geliebt, hatten den gewissen „X-Faktor“ (der Begriff wurde damals von Agenturbesitzerin Eileen Ford geprägt), sondern auch Persönlichkeit. Sie konnten mit Leichtigkeit immer neue Rollen und Stile verkörpern; darüber hinaus aber inszenierten sie einen Kult um sich selbst, ihre Kleider und ihren Lifestyle, um die glamourösen Auftritte und Boyfriends (Showbiz oder „just rich“!) jenseits des Jobs. „Supermodels“, so findet man deren Definition verschiedentlich im Internet, sind solche, die dank weltweitem Erfolg selbst berühmt sind und als hochbezahlte Repräsentanten berühmter Couture-Häuser deren Kollektionen präsentieren – auf den Laufstegen, in der Werbung. So fütterte das System sich selbst: Je mehr Covers ein Model auf international renommierten Modezeitschriften vorweisen konnte (bei Naomi und Claudia waren es mehr als 500), desto lukrativer wurden die (Werbe-)Aufträge der Modehäuser und Kosmetikfirmen. Die Supermodels wirkten wie Brandverstärker auf Markenbegehrlichkeiten: Da alle Frauen diesem „Alles-ist-möglich- Ideal nacheifern wollten – oder es zumindest ihren Sehnsüchten entsprach – verkauften sich jene Zeitschriften besser; und um die jeweilige Mode entstand ein Hype. Die Designer wetteiferten um noch exuberantere, flamboyante hyper-sexy Kollektionen. Allen voran das Haus Versace (später „Dolce & Gabbana“, „Prada“ für die Intellektuellen, „Gucci“ etc). Die Versace-Defilees waren theatralische Performances, pompös, orgiastisch, maßlos. Ein Schock für die Armani-Anhänger, der in den 1980ern den so genannten Powerlook erfunden hatte. Er revolutionierte die Mode, indem er Herrenkleidung Sanftheit und Damenkleidung eine maskuline Note verlieh. Der Durchbruch kam mit dem Film „American Gigolo“ (1980) mit dem damals noch unbekannten Schauspieler Richard Gere, der einen narzisstischen, dandyhaften Parvenu spielte – von Kopf bis Fuß in Armanis casual Business-Chic gekleidet. Armani-Anzüge wurden fürderhin in einem einzigartigen Siegeszug zum Must junger, erfolgreicher, urbaner Karrieristen und /-innen – der damals aufstrebenden „Yuppies“ - die Marke Armani zum Statussymbol für Alpha-Männer und -Frauen. Und nun das. Eine Zeitenwende. Anhänger des sleek Chick fanden „Versace vulgär“. Die neue Kleider-Prahlerei, bunt, extravagant, supersexy, beurteilte der Kurator des Metropolitan Museum in New York, Richard Martin im Rückblick so:„Gianni Versace entwarf für das Begehren.“ Er war damit am Puls der Zeit. Süchtig machende Lust an der Mode passte in den Zeitgeist – der züchtete die „Fashion victims“. Alle Spielarten von Begehr – von sexueller Selbstdarstellung über den Aufstieg der Droge Kokain bis hin zu Gier und Skrupellosigkeit der Banker waren Leitthemen – als Meilensteine jener kulturellen Entwicklung gelten heute noch der Kino-Film „Wall Street“ und Brett Easton Ellis 'Buch „American Psycho“. Den Soundtrack lieferten Dancefloor- Ikonen wie Madonna („Material Girl“), Michael Jackson, Prince. Auch die Medien gerieten in eine Art Rauschzustand: Unzählige Billboard- und Zeitschriften-Annoncen entstanden mit den Supermodels, weil die Labels von deren Glamour zu profitieren gedachten. Deren Gagen stiegen skandalöse Höhen. Das Phänomen „Supermodels“ diente nicht nur Zeitschriften und Modefirmen; es entstand ein Multimillionen-Business, das auch die Model-Vermarktung einschloss: die damals machtvollen Model-Agenturen. Deren Motto: „Ja, Ihr könnt Cindy Crawford haben. Aber nur auf dem Cover.“ Oder „... nur zu dem und dem Tagessatz“. Dieser landete schon bald in Größenordnungen von 100 000 Dollar. Zweistellige Millionen-Jahresgehälter waren die Norm für die begehrlichen Begehrenswerten. Wie viel Power die Girls schon in ihren Anfängen hatten, zeigt eine Anekdote von Naomi Campbell. Kurz vor ihrem 16. Geburtstag erschien sie schon auf dem Cover der britischen „Elle“. Es folgten Runway-Engagements bei Versace, Azzedine Alaïa und Isaac Mizrahi. Berühmte Fotografen rissen sich um sie: darunter Peter Lindbergh, Herb Ritts und Bruce Weber. Als „Dolce & Gabbana“ sie nicht buchen wollten und Naomi sich diskriminiert sah – zickten Turlington und Evangelista und zwangen die Italiener mit dem einfachen Satz: „Wenn ihr sie nicht nehmt, bekommt ihr uns auch nicht.“ Basta. Sie war erstes schwarzes Covergirl auf der französischen Vogue (1988) - nachdem ihr Vertrauter und Mentor Yves Saint Laurent gedroht hatte, seine Anzeigen zurückzuziehen; er arbeite nicht mit diskriminierenden Magazinen. Der Moment, der den Start des Phänomens „Supermodel“ definierte, kam erst im Januar 1990, als Fotograf Peter Lindberg das unvergessliche Cover für die Britische Vogue schoß. Darauf in schwarzweiß: Naomi, Linda, Tatjana Patitz, Christy und Cindy Crawford. In der Folge verewigte sie sogleich George Michael in seinem Hit „Freedom! (ebenfalls 1990). Mit dem neuen Kult-Fernsehsender MTV, seinen Musikvideos und celebrity-Shows erhielt die Berühmtheit der Glamazonen einen weiteren Vitaminstoß. Sie traten in Cindy Crawfords „house of style“ (MTV 1989-1995) auf, wurden in Talkshows, Filmen, Soap-Operas, Musikvideos (Chris Isaaks „Wicked Game“ mit Helena Christensen galt als erotischstes Video aller Zeiten) und Designer wurden nicht müde, das Image ihrer Schätze zu polieren. Karl Lagerfeld, der Claudia Schiffer zum Gesicht für Chanel gemacht hatte, begeisterte sich auch für Linda. Wie eine Stradivari sei sie, unvergleichlich mit jedem anderen Instrument. Models bekamen Beinamen. Elle MacPherson war „The Body“, Linda „das Camäleon“, weil sie in fünf Jahren fast zwei Dutzend verschiedene Frisuren und Haarfarben trug – ihre Karriere hatte erst abgehoben, nachdem Fotograf Peter Lindbergh ihr einen Kurzhaarschnitt verpassen ließ. Zu den Ausschweifungen gesellten sich irgendwann Irritationen. Naomi war nicht mehr nur für ihren Look berühmt, sondern auch deshalb, weil sie zu Sozialarbeit und Aggressionsbewältigungskursen gerichtlich verurteilt wurde. Pöbeleien, Schlägereien, Angriffe aufs Personal mit Telefon und Blackberry, das Bespucken von Polizisten wurden Teil ihrer öffentlichen Persona. Andere Supermodels wurden zickig, wollten nur noch in Private Jets fliegen, verlangten Mond-Honorare. Oder erschienen gleich gar nicht am Set oder bei den Schauen. Die Labels hatten genug: Sie wollten, dass wieder ihre Kleider die Stars sind, keine Frauen, die sie präsentieren. 1995 gründeten Christy, Naomi, Claudia Schiffer und Elle MacPherson ein von der „Planet Hollywood“ –Idee inspiriertes „Fashion Café“. Ein Riesenflop. Irgendwie konnten die Besucher wohl dünne Models nicht mit dem Thema „Essen“ zusammenbringen. Das System Supermodels hatte sich überhitzt. Zu teuer die Schauen und deren Protagonistinnen. Dazu kam, dass sich die Mode veränderte: Grunge, Purismus, Minimalismus und Street Style lösten den schwummerig-schrillen Neobarock ab. Claudia Schiffer, die heute schöner ist denn je, und immer noch Covers ziert, brachte es auf den Punkt: „Supermodels, so wie wir es waren, gibt es heute nicht mehr.“ Das sehen die meisten ihrer damaligen Mitstreiterinnen wohl ähnlich. Sie haben sich ins Privatleben zurückgezogen, Familien gegründet, den ein oder anderen lukrativen Werbedeal als Nebeneinnahme. Außer einer. Die heute fast 50jährige Linda Evangelista scheint ihren Geld-Maximen aus den 1990ern noch treu zu sein. Seit bekannt wurde, ihr unehelicher Sohn Augustin James sei das Kind des Milliardärs François-Henri Pinault, PPR-Unternehmer und Gatte von Salma Hayek, verblüffte sie Gegenanwälte und Richter mit einer enormen Unterhaltsforderung: Sicherheitspersonal, Chauffeur, Nannies – für unter 46000 Dollar im Monat könne sie ihr Kind unmöglich versorgen.