In memoriam: Lee Alexander McQueen

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02.03.2010
Der folgende Artikel (Foto: Ausriss aus Gala) erschien in leicht gekürzter Form in GALA (Nr 8, 18.2.2010; thank you, girls and guys!): In seinen Kleidern fühlt man sich so, als würde einen ein geliebter, starker Mann umarmen. Beschützt, gewappnet gegen eine komplexe Welt in Auflösung. Und überdies mit jeder Faser des Herzens begehrt. Diese Kleider signalisieren jedoch nicht jene Art von Sexyness, die ein Berlusconi gut finden würde. Sie sind das Gegengift zu einem sich allenthalben breit machenden Porno-Chic in der Mode für die Massen. Über den Schutzpanzer-Charakter seiner Entwürfe sagte der Designer einmal: „Ein Mann braucht ganz schön Eier, um die Frau anzusprechen, die meine Kleider trägt.“ Dieser Designer ist tot. Alexander McQueen, der britische Magier der Mode, nahm sich am Donnerstag vergangener Woche das Leben. Zwei Tage später wurde der 40jährige, der die internationale Modewelt mit seinem Genie bereicherte wie kaum ein anderer Zeitgenosse, in seiner viktorianischen Villa in Mayfair aufgefunden. Die Nachricht löste eine Schockwelle aus. Die gesamte Modebranche trägt Trauer: Die für die New Yorker fashion week geplante Show für sein Label „McQ“ wurde abgesagt; ob seine Herbst-Winter-Prêt-à-Porter- Kollektion im nächsten Monat in Paris gezeigt wird, ist ungewiss. „Seine Geschichte war eine des Erfolgs und des Talents“, verabschiedete ihn Karl Lagerfeld, „aber das mag nicht genügen, um einen am Leben zu erhalten.“ Freunde, Kollegen, Fans und Kundinnen drücken ihre Gefühle des „unermesslichen Verlustes“ und ihren Schmerz in Zeitungskommentaren, im Internet und vor allem über Twitter aus, ein Medium, das Lee, wie ihn seine Vertrauten beim Taufnamen nannten, selbst ausgiebig benutzte. Heidi Klum, Dita von Teese, Lady Gaga, Kayne West, Designerkollegen wie Donatella Versace und Philip Lim, Victoria Beckham  und viele mehr zollten ihm so Tribut. Kate Moss, langjährige Intima, mit der McQueen nicht nur den Cockney-Akzent teilte, ließ eine Stellungnahme durch einen Sprecher abgeben: „“Kate ist geschockt und am Boden  zerstört über den tragischen Verlust ihres lieben Freundes Lee McQueen. Ihre Gedanken sind in dieser schweren Zeit bei seiner Familie. Wir bitten darum, Kates Privatsphäre zu respektieren.“ Als das Models wegen eines Drogenskandals vor einigen Jahren in Ungnade gefallen war, trug McQueen demonstrativ ein T-Shirt mit dem Aufdruck: „We all love you Kate“; und inszenierte sie wie ein Illusionskünsler als verzaubert-spukhaftes Hologramm auf dem Laufsteg, das sich nach ein paar Minuten entmaterialisierte. Moss war u.a. Trauzeugin bei der Hochzeit mit seinem Liebhaber George Forsythe im Sommer 2000, eine Beziehung, die später zerbrach. [youtube=http://www.youtube.com/watch?v=jIcsYBZSQ48&feature=related] Der Taxifahrer-Sohn aus dem Londoner East-End, jüngstes von sechs Kindern, war ein kühner Geist. Er war provokant, von überbordender Kreativität, kompromisslos in seiner Schneiderkunst und vor allem eine aussterbende Spezies im Biotop der Fashion-Industrie: Ein Künstler – einer, der gleichwohl tragbare Kleider schuf für das Leben jenseits der Laufstege. „Ich möchte Beständiges schaffen,“ sagte er einmal, „McQueen-Modelle sollen von den Trägerinnen an deren Kinder weitervererbt werden können“. Und: „Nur integere Menschen sollen meine Sachen tragen.“ - Sätze, die die verletzliche, sensible Seite des Ausnahme-Talents zeigen. Denn: Sein ästhetisches Berserkertum, seine Show-Spektakel, changierend zwischen subversive Thrillern, morbiden Fantasien, düsterem Glamour, zarter Poesie und futuristischem Eskapismus, vermochten es, selbst das blasierte Publikum bei den Schauen zu erschüttern. Fans waren hingerissen, konservative Geister geschockt. Das brachte ihm bei der britischen Presse Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts Beinamen wie „Mode-Hooligan“, „Fashion-Rottweiler“ oder „enfant terrible“ ein. McQueen revanchierte sich, indem er einmal am Ende einer Show sein nacktes Hinterteil zeigte als Antwort auf so viel Ignoranz. Natürlich spielte er auch mit seinem „bad boy“- Image: Einer Anekdote nach soll er obszöne Sprüche in das Jackenfutter von Prinz Charles gestickt haben. Sie hielt sich hartnäckig seit der Zeit, als McQueen mit 16 in der Kaderschmiede Anderson & Sheppard auf der Savile Row sein Handwerk lernte. Schon damals galt er als Perfektionist, als „stichbitch“, dem niemand je mehr vormachen konnte, wie man ein vollendete Schulter konstruiert. Auch später - nach Jahren seiner Design-Tätigkeit in Japan und Italien bei Romeo Gigli und nachdem er die renommierte Saint Martins School abgeschlossen hatte – fiel er durch seine Respektlosigkeit auf: Als Chefdesigner des Pariser Hauses Givenchy (1996-2001) verunglimpfte er dessen Firmengründer als „irrelevant“. Im Jahre 2002 verkaufte er sein eigenes Label „Alexander McQueen“ zu 51 Prozent an die Gucci-Gruppe (PPR-Konzern, dem Konkurrenzen von LVMH, zu dem „Givenchy“ gehört). Damals sagte er über seine Arbeit: „Manche finden meine Entwürfe aggressiv. Ich sehe das nicht so. Ich betrachte mich als Romantiker, dessen Persönlichkeit auch eine dunkle Seite hat. Kann sein, dass ich manchmal zu weit gehe. Aber so bin ich nun mal.“ Der „dunkle Stern“, wie ihn Kritikerin Suzy Menkes in ihrem Nachruf bezeichnet, schrieb so Modegeschichte - in einem Spannungsfeld von Himmel und Hölle, in seinem ambivalenten Verhältnis zum Thema Schönheit: Er schickte seine Models mit echten Wölfen auf den Laufsteg. Er inszenierte sie mit blutroten, aufgeschwollenen Lippen als Schönheits-OP-Opfer, die um einen geisterhaften Schrottplatz paradieren. Er zeigte Supermodel Shalom Harlow als fragilen sterbenden Schwan, der auf einer Drehbühne von Airbrush-Robotern mit Farbe besprüht wird; er veranstaltete ein lebendes Schachspiel und einen Tanzmarathon nach Horace McCoys Roman noir-Vorlage „Thy shoot horses, don't they“ aus der Zeit der Großen Depression. Er zitierte abgründige metaphysische Porträts aus den Arbeiten des Fotokünstlers Joel-Peter-Witkin (Foto unten), der bekannt ist für seine Freak-Darstellungen und verstörenden Memento-mori-Stilleben. Aber er entwarf auch gigantische Roben aus echten Blüten von herzzerreißender Schönheit sowie Fantasy-Märchen wie seine letzte Damenmodenschau 2009. Die Ironie des Schicksals: Sie wurde von den Kritikern als schönste, als eine vollendete, triumphal gefeiert. „Plato's Atlanis“ entführte in eine futuristische Unterwasserwelt, in der sich elfenhafte Wesen in Kleidern mit halluzinatorischen Mustern tummeln, Kleiderskulpturen schillernd wie Krustentierpanzer. Die Models balancierten auf Spitzen in halsbrecherisch hufartigen Gehwerkzeugen. McQueen nannte die Schuhe „Amordillo“ (Gürteltier). Bei McQueen musste Mode manchmal weh tun. Model Erin O'Conner trug einmal Schnittwunden von einem Muschelkleid davon. Ein andermal ließ er die Models blau gefroren in einem inszenierten Schneesturm erzittern. Das führte auch zu Missverständnissen. Als er 1995 eine Modenschau unter das Motto „Highland Rape“ stellte und Frauen wie Vergewaltigungsopfer in blutverschmierten, zerfetzen Kleidern zeigte, wurde er massiv der Frauenfeindlichkeit bezichtigt. Was McQueen eigentlich darstellen wollte, war „die Vergewaltigung Schottlands durch England“, ein Bezug zu den Wurzeln seiner Familie. Wenn seine Dämonen ihn ihm durchbrachen ging McQueen bis an die Schmerzgrenze, nicht nur im physischen, sondern auch im psychischen Sinn. Er wollte uns ins Herz unserer Existenz treffen: „Wie viele Künstler finde ich Schönheit im Grotesken, selbst im Abscheulichen. Ich muss die Leute zwingen, hinzuschauen.“ Jenseits aller Theatralik ist vielen nicht bewusst, welchen Einfluss Lee McQueen wirklich auf unser Zeitgeistgefühl und unsere moderne Gesellschaftswahrnehmung hatte. In der Zusammenarbeit mit Künstler wie den Chapman-Brüdern oder Björk schuf er Popkultur. Der hype um die Metrosexualität von Männern ging auf ein Foto des von ihm als schwul inszenierten David Beckham auf einem Zeitschriftentitel zurück. Er löste den kommerziellen Hüfthosen-Trend der letzten Jahre aus – seine Originale hießen „bumster trousers“. Noch bevor Balenciaga & Co Camouflage, Pagodenschultern, Gothic-Glamour, Lederleggings und Totenköpfe zeigten, war er es, der den Trend vorgab. Dass der viermalige „Designer des Jahres“ aus seinem Talent überhaupt eine Karriere machen konnte, hat er vor allem seiner Entdeckerin, Muse und Mäzenin Isabella Blow zu verdanken. Die blaublütige Exzentrikerin war Modechefin beim „Tatler“, als sie 1994 seine Abschlussarbeit an der Saint Martins School sah. Sie kaufte die gesamte Kollektion auf und nahm ihn fürderhin unter ihre Fittiche. Bei einem gemeinsamen Abendessen mit der Autorin vor drei Jahren gestand sie Champagnerlustig, dass ihr die Kleider damals in Mülltüten angeliefert wurden. Für ordentliche Hüllen war kein Geld da. Inzwischen war McQueens  Vermögen auf 20 Millionen Pfund geschätzt worden. Izzy machte damals kein Hehl aus ihrer Verbitterung, an dem Gucci-Deal nicht finanziell beteiligt worden zu sein. Zugleich bekannte sie sich dennoch zu der symbiotischen Verbindung mit ihrem Zögling, in der große Gefühle manchmal Funken schlugen. Ein paar Wochen nach dem Gespräch nahm sich Izzy das Leben, nachdem die Ärzte bei ihr Eierstockkrebs diagnostiziert hatten. McQueen ist über ihren Tod nie hinweg gekommen und bemerkte nur einmal öffentlich dazu: „Das war die wichtigste Erfahrung, die mich die Modeindustrie gelehrt hat.“ Am 3. Februar unterrichtete McQueen seine Freunde via Twitter vom Tod seiner geliebten Mutter Joyce. Vier Tage später berichtete er von einer „grauenvollen Woche“, aber auch vom Beistand seiner „großartigen Freunde“. Er müsse sich „jetzt zusammenreißen und die Höllenengel und unersättlichen Dämonen“ vertreiben. Seine Einträge wurden inzwischen gelöscht. Zeitgleich erschien in der englischen Kultzeitschrift „Love“ sein mutmaßlich letztes Interview. „Wenn ich tot bin“, so heißt es darin, “wird mein Haus hoffentlich weiterleben. Auf einem Raumschiff, das auf- und nieder hüpft über der Erde.“ p.s.: Einer BBC-Meldung zufolge hat PPR angekündigt, dass die Gucci-Group, der 51 Prozent an der Marke gehört, das Label Alexander McQueen weiter führen möchte.